Zustand der Deutschen
Deutschland, ein Land der Dichter und Denker, das habe ich viele Jahre gedacht. Gedacht, dass die Deutschen gebildet, kritisch, wissensdurstig, eloquent und zu einem "intelligenten Streitgespräch" in der Lage sind. Ich habe gedacht, dass diese Fähigkeiten, die ich für normal gehalten habe, auch normal sind.Zuerst hat mich verwundert, dass neun von zehn Fahrgästen in der S-Bahn Boulevardzeitungen mit einem hohen Bilderanteil gelesen haben. Ich habe mich gefragt, wieso diejenigen eine Zeitung lesen, die so wenig handfesten Text und soviele nutzlose Bilder, die zwar skandalös, aber inhaltsleer sind.
Ich habe mich gefragt, wieso die Parteien mit Wahlslogans werben, wie: "Wir von der XY-Farbe-Partei sind gegen die Bösen von der YX-Partei." Oder nur mit Portraitfotos von den Kandidaten, die freundlich in die Kamera schauen, zusammen mit solchen inhaltsleeren Parolen wie z.B.: "Reichtum für jeden" (Habe ich tatsächlich auf einem Wahlplakat gelesen). In Interviews sorgfältig jede konkrete politische Aussage vermeidend. Und wenn, dann wird diese nach der Wahl wie immer zu den Akten gelegt.
Ich habe mich gefragt, wieso das Gro der Bevölkerung bereit ist, für sogenannte Markenartikel rund das Dreifache wie für Eigenmarkenartikel auszugeben. Haben die denn nicht mitgekriegt, dass die Markenartikel kein Deut besser sind als die Eigenmarken.
Immer wieder musste ich beobachten, dass Bedienungsanleitungen nicht gelesen werden, weil der Leser meint, er verstehe sie sowieso nicht. Auf die Anregung hin, die unbekannten Worte und Sachverhalte mal nach zu recherchieren, bekam ich dann immer die Antwort: "Lesen ist anstrengend.". Wenn man jemand aufforderte, ein Wissensgebiet selbständig zu erarbeiten und in ein Produkt oder eine Aufgabenlösung umzusetzen wird man angeschaut, als käme man von einem anderen Stern.
Langsam dämmerte mir, dass zwar fast alle Deutschen lesen, schreiben, rechnen können, aber diese Fähigkeit reicht nicht aus, komplexe Texte vom Sinn her zu verstehen oder mehr als die vier Grundrechenarten zu beherrschen. Bei "Wer-wird-Millionär" wissen die Teinehmer zwar, welche Berühmtheit mit wem ein Verhältnis hatte oder wann welcher Fußballverein welches Tor geschossen hat, aber aller einfachste mathematische oder geometrische Aufgaben tauchen als 125-Tausend-Euro-Frage auf.
Ich frage mich also, wieso die Deutschen so viel nutzloses, sinnentleertes Wissen mit sich rumschleppen, aber Basisfähigkeiten und -kenntnisse verloren gegeangen sind. Ich kann natürlich keine Zahlen vorlegen, weil es selbstverständlich unhöflich ist, seine Mitmenschen nach ihrem Wissensstand auszufragen. Aber man kann wie ein Mediziner an Hand der Symptome auf den inneren Zustand des Menschen schließen. Egal wieviel Prozent der Bevölkerung, wieviele Kenntnisse haben, tut nichts zur Sache, dass die Deutschen irgendwie falsch ausgebildet sind. Allein die Angaben zum Analphabetismus reichen für Deutschland von einem bis zu 15 Prozent, je nachdem wie man Analphabetismus definiert. Dazu kommt, dass es ein Tabuthema zu sein scheint, weil niemand diese bedrückende Wahrheit zugeben möchte. Allein die PISA-Studie gibt einen groben Anhalt, sagt aber nichts über Erwachsene aus.
Zustand des Schulwesens
Wie war denn meine eigene Schulzeit? Wie ging es bei meinen Kindern, wie geht es bei meinen Enkelkindern zu? Wie ist das Selbstverständnis der Lehrer damals und heute?Große Veränderungen habe ich leider nicht feststellen können!
Nach wie vor versteht sich der Lehrer als derjenige, der das alleinige, richtige Wissen hat und es den dummen Kindern, teils gegen deren Willen beibringen muss. Hier der Allwissende, dort die Dummen. Die Schüler ihrerseits sehen sich einem Wissensstoff gegenüber, deren Anwendbarkeit sie nicht erkennen und teilweise auch unmöglich erkennen können. Also gehen Sie den Weg des geringsten Widerstandes und lernen nur das, was sie bei der nächsten Klassenarbeit oder Klausur brauchen, weil sie es müssen. Sich darüber hinaus für den Unterrichtsstoff zu interessieren, ist reine Zeitverschwendung.
Originalaussage eines Schülers: "Die Vokabeln fünf Seiten zurück brauchen wir nicht zu üben, die kommen in der Klassenarbeit nicht dran." Die "guten" Schüler lernen besonders gut auswendig. Die "schlechten" Schüler lernen weniger gut auswendig. Sind die "guten" Schüler lebenstüchtiger, als die "schlechten" Schüler? Vorweg genommen: "Ich glaube nicht.".
Ich war bei einer Lehrerkonferenz in der Schule meiner Kinder dabei. Einer der Lehrer bevorzugte ein Schulbuch, weil er pro Stunde genau ein Kapitel durchnehmen konnte. Damals war ich noch nicht darüber gefallen, was für ein schlimmes Eingeständnis der Unfähigkeit das war. Es regte sich im Kollegium kein Widerspruch, sondern nur wohlwollendes Nicken. Später ging mir auf, dass im Unterricht der Wissensstoff kapitelweise, wie mit einem Nürnberger Trichter, das Schulbuchwissen in die Schüler hineingeschaufelt werden sollte. Ursprung dieser Methode scheint der preußische Anspruch an das Schulwesen zu sein, funktionierende Untertanen zu erzeugen. Ich glaube nicht, dass das heute immer noch absichtlich so gedacht wird, aber das Gedankengut ist nicht auszurotten.
Die Schuld für die "schlechten" Schulergebnisse nur bei den Schülern, beim Internet, den vielfältigen Ablenkungen zu suchen, scheint mir zu kurz, zu einseitig gedacht.
Anforderungen der Gegenwart und Zukunft
Mit diesem vokabelhaften auswendiglernen kommen wir nicht weiter. Wissen, was man vor 20, 30, 40 Jahren einmal gelernt hat, ist dann, wenn man es braucht, schon mehrfach überholt. Von der Vorstellung, dass einmal erworbenes Wissen lebenslang gültig bleibt, müssen wir uns endgültig verabschieden. Gewiss, manches bleibt, anderes überholt sich. Was sich überholt, weiß man vorher nicht. Eines ist sicher, dass nichts sicher ist, was man einmal gelernt hat. Und die Spirale dreht sich immer schneller und schneller. Es könnte einem schwindelig werden. Vielen wird schon heute schwindelig, fühlen sich von der Entwicklung überrollt. Glauben, sie könnten noch bis zur Pensionierung durchhalten. Und wenn sie dann überrollt werden, vollziehen sie die innere Kündigung. Die Rede des Direktors, die bei der Schulabschlussfeier den obligatorischen Satz vom lebenslangen Lernen enthielt, habe ich damals in ihrer Tragweite nicht vorstellen können.In vergangenen Jahrhunderten war es normal, dass man den einmal erlernten Beruf lebenslang und auch häufig bei demselben Arbeitgeber ausüben konnte. Fort- und Weiterbildung war unbekannt. Wozu auch: "Um ein Haus zu mauern, musste man sein Leben lang, die Steine auf dieselbe Weise zusammen fügen." Das ist endgültig vorbei!
Wenn aber die Schulkenntnisse eine immer kürzere Halbwertszeit haben, was ist dann zu tun? Mit der Schulter zucken und sich damit abfinden. dass es so ist, endet in der Arbeitslosigkeit. Sicher auch einer bedenkenswerte Alternative bei einem bedingungslosen Grundeinkommen. Aber im Ernst, natürlich nicht. Was wir natürlich brauchen ist das, was bei der Abschlussfeier von damals, von den meisten nicht für voll genommen wurde, das mit dem lebenslangen Lernen. Nicht wie die meisten Erwachsenen sagen, nach Schule und Berufsausbildung muss ich doch nicht weiter lernen. Wenn, dann ist es Sache des Arbeitgebers, mir was bei zu bringen. Lebenslanges lernen allein ist in der jetzigen Gesellschaft nicht mehr ausreichend. Kreativität, eigenes Denken, Umsetzungsfähigkeit müssen dazu kommen.
Was muss die Schule der Zukunft anders machen
Nur die Schulen zu digitalisieren, also mit Internet per WLAN, mit Notebooks für Schüler und Lehrerund mit einem hypermodernen Whiteboard auszustatten ist keine Lösung. Das ist das einzige Thema über das heute gesprochen wird. Das ist, als wenn man darüber diskutieren würde, ob eine Zimmermann Hammer und Nägel braucht. Aber auch, wenn alle Schulen mit der tollsten und modernsten Ausstattung ausgerüstet sind, ist noch nichts getan.
Wieso?:
Entscheidend ist das Selbstverständnis vom Lernen, sowohl bei den Schülern, den Eltern und noch mehr und vor allem bei den Lehrern. Lehrer haben sich immer als derjenige verstanden, der mit viel pädagogischem Geschick den Schülern was beibringen muss. Die tüchtigen haben es als persönliches Versagen gewertet, wenn ihnen das nicht gelingt. Von diesem Rollenverständnis muss sich die Lehrerschaft verabschieden. Aber was dann?
Mir schwebt eine Schule vor, die sich an der Methodik der Universitäten anlehnt, insofern als das die ehemaligen Lehrer nicht mehr frontal unterrichten, sondern mehr Hilfestellung bei dem Selbststudium der Schüler leistet. Der "Lehrer" gibt nur noch eine grobe Richtung vor, organisiert Aufgabenstellungen, bewertet das Endergebnis. Er sollte nur im aller äußersten Notfall, aber wirklich nur im absoluten Ausnahmefall beim eigentlichen Lernen helfen. Wozu braucht man in der Schule der Zukunft Bücher oder ein elektronisches Pendant dazu? Eigentlich normalerweise nicht! Vielleicht wenn man Vokabeln einer Sprache lernen möchte. Nur in Fächern, wo es um stumpfsinniges paucken geht. Schulbücher egal, ob gedruckt oder elektronisch, spielen nur noch eine Rolle als zusätzliche Wissensquelle. Sie dürfen nicht mehr die Quelle unumstößlicher einziger Weisheiten sein. Schüler und Lehrer müssen sich daran gewöhnen, es als selbstverständlich betrachten, dass alle Quellen zu hinterfragen sind. Alles was zu lesen und zu hören ist, egal ob auf Papier oder elektronisch, egal ob Schulbuch, Buch, Zeitung, Internet, Werbung, TV alles ist zu hinterfragen. Nichts darf als gegeben hingenommen werden. "Aber was ist denn nun zuverlässig, worauf soll ich mich denn nun verlassen. Ich kann doch nicht allem misstrauen!" werden Schüler, Lehrer, Mitmenschen dann verstört von sich geben. Gerade dass ist die besondere Herausforderung der modernen Zeit. "Aber an irgendetwas muss ich mich doch orientieren!" An dem eigenen Verstand. Daran, dass ich immer wieder überlegen muss, kann das angehen. Daran, dass ich möglichst viele verschiedene vor allem auch gegensätzliche Quellen zu Rate ziehe und versuche, mir ein möglichst objektives eigenes Urteil zu bilden.
Widerstände
Lehrer und Schulrektoren behaupten steif und fest, damit würde ich Schüler hoffnungslos überfordern. Klar, wenn man Schüler von dem einen auf den anderen Tag damit konfrontieren würde, bestimmt. Das will aber niemand. Ich habe aber bei fremden und eigenen Kindern beobachtet, dass sie sehr wohl zu selbstständigen Lernen, nicht nur in der Lage sind, sondern es mit wachsender Begeisterung praktizieren. Man muss Kinder nur machen lassen! Allein machen lassen! Am schlimmsten sind die, von Ehrgeiz getriebenen Helikoptereltern, die ihre Kinder von einem Kurs zum nächsten kutschierenWas können Eltern tun
Auf jeden Fall nicht Helikoptereltern spielen, sondern schon im häuslichen Umfeld den Kindern möglichst viel selbstständig machen lassen. Damit meine ich keine antiauthoritäre Erzeihung, überhaupt nicht. (Sogenanntes "Lernspielzeug" ist eher hinderlich, weil Kinder nicht blöd sind und die pädagogoische Absicht sofort erkennen.) Sondern die Kinder z.B. einen Kuchen backen lassen. Dabei auf keinen Fall die Zutaten abgewogen hinstellen, die Eier nicht vorher trennen, usw. Sondern das Kind muss die Zutaten aus einem 6-Portionen-Rezept allein in ein 4-Portionen-Rezept umrechnen. Das Rezept lesen und verstehen und den eigenen Arbeitsablauf organisieren. Fehlversuche sind unausweichlich. Die dürfen nicht getadelt werden, sondern müssen Ansporn zu einem neuen Anlauf sein. Eines ist gewiss, das Selbstvertrauen steigt enorm und damit auch die Selbstverständlichkeit sich an neue Aufgabenstellungen heran zu trauen.Ein Kind mit Vertrauen in die eigene Leistungs- und Lösungsfähigkeit wird nicht nur mit dem neuen Schulkonzept mit Freude problemlos fertig werden, sondern auch mit wachsender Begeisterung.
Wieso soll der Schüler dazu gezwungen werden, den bequemen Weg des schlichten Auswendiglernens, jeweils bis zur nächsten Klassenarbeit zu verlassen? Weil ist nicht anders geht! Weil Kenntnisse, die man sich durch mühsames, eigenes Ausprobieren erarbeitet hat, lebenslang im Gedächtnis haften bleiben. Weil die Methodik des selbstständigen Erarbeitens von Wissen und Lösungen lebenslang zur Selbstverständlichkeit wird. Und nebenbei merkt der Jugendliche, dass die Neugier zu stillen, richtig Spass macht, das Leben mit sinnvollen Inhalten füllt. Beruflicher Erfolg im späteren Erwachenenleben ist ein nicht unerwünschtes Abfallprodukt.
Berufsbild des Lehrers
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Wie müssen die Schulen ausgerüstet sein
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Ein festes Repertoire, abgesteckt von den Kultusministerien, lässt sich so natürlich nicht realisieren. Wir haben ohnehin angefangen, uns davon zu distanzieren. Schüler können Fächer abwählen. Und mal ehrlich, was bringt das für einen Sinn, wenn jahrelang Stoff vermittelt wird, der nach dem Schulabschluss möglichst schnell vergessen wird. Es ist einfach unrationell. Wir produzieren Erwachsene, die gut auswendig lernen können, aber unfähig zu eigenem kreativen Denken sind. Glücklicherweise gibt es immer wieder Schüler, die trotz und nicht wegen des jetzigen Systems zu kreativem Denken und studieren in der Lage sind. Klar, wenn man die Grundfertigkeiten in Rechnen, Schreiben, Lesen in den ersten vier Jahren beibringen möchte, kann man nicht viel ändern. Aber auch hier kann man den Kindern schon Zeit und Raum geben, bei Misserfolgen immer wieder neu anzufangen. Gemeinsames Ziel von Schule und Elternhaus muss sein, Kinder so früh wie irgend möglich, zur Selbstständigkeit zu bringen.
Die technische Ausrüstung ist nicht das allein selig machende. Internet ist kein Nürnberger Trichter! Zur Not kann man dieses Konzept auch ohne Internetzugang realisieren. Eine wohlsortierte Bibliothek tut es auch. Was als Quelle dient, ist nicht das allein entscheidende. Entscheidend ist, das Quellen nicht einfach unkritisch konsumiert werden. Das Internet erleichtert die Quellensuche natürlich ungemein, das ist keine Frage, aber zwingend notwendig ist es nicht.
Natürlich gibt es für ein Benotungssystem in einem solchen System keinen richtigen Sinn. Vielen fängt es an zu dämmern, dass die heutigen Einzerzeugnisse keinen echten Befähigungsnachweis mehr darstellen. Teils weil es nur die Fähigkeit zum auswendig lernen dokumentiert, teils weil die Lehrer Gefälligkeitsnoten verteilen. Ich habe schon mehrere Lehrer gehört, die das mit schönen Worten bestätigen. Deshalb machen alle Firmen heute eigene Einstellungstests, weil die Zeugnisse keine Aussagekraft mehr besitzen. Dann kann man auch komplett darauf verzichten.
Was sich bei den Arbeitgebern ändern muss
Es sieht so aus, als wenn ich nur dem Schulsystems den schwarzen Peter in die Schuhe schieben würde. Das ist zu kurz gedacht. Natürlich muss man bei den Schulen anfangen. Aber die Arbeitgeber tragen eine große Mitschuld an der gegenwärtigen Misere.Firmen jammern immer, dass sie keine Mitarbeiter finden. Gleichzeitig bewerben sich tausende ambitionierte Universitätsabsolventen um einen einzigen Arbeitsplatz. Wie passt das zusammen? Firmen möchten sich Bewerber herauspicken, die haargenau dem illusionären Anforderungsprofil entsprechen. Ein Studium kann und will keine Berufspraxis vermitteln. Aber natürlich muss sich der Bewerber im Job einarbeiten. Diese Einarbeitungszeit wird von den Firmen nicht gegeben. Genauso wenig wird den eigenen festangestellten Mitarbeitern Gelegenheit gegeben, sich auf neue Aufgaben im Unternehmen vorzubereiten. Stattdessen werden externe Mitarbeiter engagiert, diese neuen Aufgaben zu erledigen. Dass die Firmen sich damit ins eigene Knie schießen, merken sie nicht. Es scheint kurzfristig die preiswerteste Lösung zu sein. Knowhow wird aus der Firma ausgelagert. Werden neue Mitarbeiter gebraucht, finden sich keine. Woher denn auch sollten sie kommen. Forderung nach Weiterbildung muss von den Arbeitgebern und von den Arbeitnehmern gleichzeitig kommen.